Programm 2025


Lesung von Miku Sophie Kühmel: Hannah

1.11.25 | 16:00-17:30 Uhr | Saal X, Gasteig/HP8 | Moderation: Felicitas Friedrich | Tickets

© Olga Blackbird 

In den schillernden 20er Jahren der Weimarer Republik trifft die Künstlerin Hannah auf die Autorin Til. Es beginnt ein gemeinsames Leben, zunächst im ekstatischen Aufbruch der Kreativität und Liebe. Zwischen Den Haag und Berlin navigiert das Paar rauschhafte Feste, intensive Freund*innenschaften und Momente zärtlicher Zweisamkeit. Doch von Jahr zu Jahr wirft die wachsende politische Bedrohung durch den Nationalsozialismus einen immer größeren Schatten auf das Glück dieser spielerisch-freien Lebensform, die queere Liebe, weibliche Selbstbestimmung und den Wert der Kunst zu verteidigen sucht.

Mit sprühender Virtuosität erzählt Miku Sophie Kühmel eine Geschichte der dadaistischen Collage-Künstlerin Hannah Höch und ihrer Partnerin Til Brugman, die die Grenzen zwischen Biografie und Fiktion verwischt. In einer Montage aus Briefen, Notizen, bildlichen Spracheindrücken und zarten Momentaufnahmen erzählt dieser Roman, der kein Roman ist, von einem gemeinsamen Künstlerinnenleben – mit all der Zuneigung, Eifersucht und gegenseitigen Inspiration, die ein solch innig verwobenes Schaffen mit sich bringt. Schleichend und unheimlich sickert dabei eine Melancholie in den Text , die die Fragilität dieser Beziehung und ihres zeitlichen Schauplatzes immer schmerzhafter spürbar werden lässt. Behutsam und poetisch setzt Hannah das Bild einer Liebe vor dem Hintergrund eines Jahrzehntes zusammen, das aktueller nicht sein könnte.

Miku Sophie Kühmel, 1992 in Gotha geboren, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin und Produzentin verschiedener Podcast-Formate in Berlin. Ihr Debütroman Kintsugi landete auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019 und wurde mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung (2019) sowie mit dem„aspekte“-Literaturpreis 2019 ausgezeichnet. 2022 erschien ihr zweiter Roman Triskele, mit dem sie für den Clemens-Brentano-Preis (2023) nominiert war. Ihr dritter Roman Hannah ist 2025 bei S. Fischer erschienen.


Lesung von Evan Hugo Tepest: Sind Penisse Real?

1.11.25 | 18:30-20:00 Uhr | Saal X, Gasteig/HP8 | Moderation: Laura Annecca | Tickets

© Lee Everett Thieler

Hugo ist in seinen Dreißigern, als er beschließt, seine Transition zu beginnen. Plötzlich als Mann wahrgenommen zu werden, berauscht und verunsichert ihn zugleich.  Die Euphorie, zum ersten Mal „in einen provisorischen Gleichklang mit der Welt zu treten“, vermischt sich mit der Trauer, aus der Gemeinschaft von Frauen ausgeschlossen zu werden, die ihn bisher gehalten hatte – und mit der Angst, als Aggressor wahrgenommen zu werden. Wie geht das: „ein Mann zu sein, den niemand zu fürchten hatte“?

Im Taumel neuer Männlichkeit beginnt Hugo, die Imaginationen des Männlichen zu untersuchen, die ihn umtreiben, und stößt dabei immer wieder auf das Phantasma des Penis als Symbol ultimativer Maskulinität. Der Penis, so reflektiert er, verkörpert für ihn – entgegen seinen politischen Überzeugungen – Macht, Virilität, Aggression und Begehren. Welche Rolle möchte er also dem Penis in seinem „zweiten Leben“ als Mann zuschreiben? Auf seiner Suche nach Antworten spricht Hugo mit verschiedensten Menschen (mit und ohne Penis) über dieses kulturell aufgeladene Organ; über Macht und Unterdrückung, Angst und Verlangen, Sexualität und Fantasie. In seinen Gesprächen trifft die Eindeutigkeit des Phantasmas auf die Ambiguität der Realität – und in diesem Geflecht leuchtet ein neues Denken über Männlichkeit auf.

Offen und verletzlich schreibt Evan Hugo Tepest über die Gewalt, die Männlichkeit ausübt, und die Gewalt, die Männlichkeit erfährt. Sind Penisse real? verknüpft Literatur und Theorie mit Glauben, subjektiver Erfahrung und Gesellschaftskritik. Persönlich und politisch entblößt der Essay die verletzliche Unterseite eines so begehrten und gefürchteten Körperteils und wagt es, ihr Neugier und Zärtlichkeit entgegenzubringen. 

Evan Hugo Tepest, geboren 1989 im Rheinland, lebt als Autor in Leipzig. Sein Debüt feierte er mit dem Essayband Power Bottom (2023), worauf sein Roman Schreib den Namen deiner Mutter (Piper 2024) und sein Essay Sind Penisse real? (Piper 2025) folgten. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit entwickelt Tepest Performancearbeiten mit einem Fokus auf queerer und trans* Geschichte, zuletzt „Das klingt alles nach Himmel für mich“ (HAU Berlin, mit Duygu Ağal).


Lesung von Ozan Zakariya Keskinkılıç: Hundesohn

2.11.25 | 14:00-15:30 | Saal X, Gasteig/HP8 | Moderation: Amira Sarra Schoemann | Tickets

© Max Zerrahn/Suhrkamp Verlag

„Baba sagt immer, bir lisan, bir insan. İki lisan, iki insan. Eine Sprache, ein Mensch. Zwei Sprachen, zwei Menschen. Das bedeutet, je mehr Sprachen du sprichst, desto größer ist die Welt, desto mehr bist du.“ Vielstimmig und groß ist die Welt, die Ozan Zakariya Keskinkılıçs Debütroman Hundesohn durchstreift. Der Text entrollt sich wie ein Teppich, „eine bewegliche Welt, ein wandernder Boden“, über den, immer im Rhythmus der Grindr-Notifications, ein schwindelerregender Reigen von Begegnungen und Verfehlungen hinwegzieht. Mit Franz Kafka, der ihm von der ersten Seite an Pate steht, verbindet den Erzähler Zeno, dass er keine Zunge beherrscht, aber mit vielen ringt. Es gibt, um nur einige zu nennen, das Deutsche, in dem er schreibt; das Türkische, in dem er Kind blieb; das Englische, in das er immer wieder wechselt – und die Lücke, die die Sprache der Großeltern ließ. Sprache, Sprachverwirrung und Begehren sind hier unauflöslich ineinander verschlungen: am liebsten hat Zeno nämlich Hassans „kühle Zunge im Mund, nachdem wir Wassermelone gegessen haben“. 

Kraftvoll reißt sich Hundesohn von der Leine der Coming-of-Age-Story los. Die Lesenden finden keine Linie, die ungebrochen von einem früheren Selbst zu einem gegenwärtigen Selbst verlaufen würde, sondern einen Erzähler, der gleichzeitig verschiedene Räume und Zeitlichkeiten bewohnt. Und sie finden einen hungrigen Mund, der sich zur Stätte vieler Zungen macht, weil er über die eigene Zunge hinausgewachsen ist. 

Ozan Zakariya Keskinkılıç, geboren 1989, ist Politikwissenschaftler, freier Schriftsteller und Lyriker. 2022 erschien sein Lyrikdebüt Prinzenbad im Elif Verlag, 2023 folgte das Sachbuch Muslimaniac. Zur Karriere eines Feindbildes (Verbrecher). Er war für den Clemens-Brentano-Preis und den Dresdner Lyrikpreis nominiert und wurde 2025 mit dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis ausgezeichnet. Hundesohn, sein erster Roman, erschien im September 2025 bei Suhrkamp.


Lesung von Kevin Chen: Geisterdämmerung

2.11.25 | 18:00-19:30 Uhr | Saal X, Gasteig/HP8 | Moderation: Monika Li | Zweite Lesestimme: hongji (鸿基) | Tickets

© Privat

Am Tag des Geisterfestes, an dem die Geister zurückkommen, kehrt auch Tianhong in sein Heimatdorf nach Taiwan zurück. In den Moment der Rückkehr weben sich die Erinnerungen ein – an Tianhongs Jahre in Berlin, geprägt von seiner Beziehung mit T, die gewaltsam endete; an sein Leben als junger Erwachsener in der Hauptstadt Taipeh und vor allem an das Aufwachsen in dem kleinen taiwanischen Dorf Yongjing, dessen Name ‚ewiger Friede‘ bedeutet. Er wuchs dort als Jüngstes von sieben Geschwistern in einer Welt voll Geisterglaube, traditioneller Rollenbilder und Gewalt heran, in der die Momente zärtlicher Zuneigung und Liebe wie auch des freundschaftlichen Zusammenhalts umso intensiver hervortreten. Vertraute und fremde Geräusche, Aromen und Gerüche durchdringen das Erleben und lassen die Bilder zwischen Taiwan und Deutschland geisterhaft von den Buchseiten aufsteigen. Wie ein Mosaik werden die Eindrücke und Erinnerungen; Vergangenheit und Gegenwart Tianhongs und seiner fünf älteren Schwestern zusammengesetzt zu einem „stilistisch meisterhaft[en]“ (Dirk Fuhrig, Deutschlandfunk Kultur) Familien- und Gesellschaftsporträt. 

Kevin Chen (陳思宏), *1976 in Changhua (Taiwan), ist Autor, Journalist und Schauspieler. Er lebt seit mehr als 20 Jahren in Berlin und hat zahlreiche Preise gewonnen. Geisterdämmerung (鬼地方) wurde 2020 mit dem renommierten „Taiwan Literature Award“ausgeichnet und ist inzwischen in mehr als zwölf Sprachen übersetzt – dank Monika Li nun auch ins Deutsche. 


Comic-Lesung mit Lina Ehrentraut (Toys) und Whitney Bursch (ausgewählte Werke) 

1.11.25 | 20:30-21:30 Uhr | Saal X, Gasteig/HP8 | →Tickets

Während die Verbindung zu their Freund*in zwischen Projektion und dem Schweigen einer Fernbeziehung verebbt, bestellt Tony sich in der Fuge  von Lust, Lethargie und einem Rabattcode “Their Pleasure”:  das teuerste Produkt, das Tonys kürzlich verkaufte Sextoy-Firma gerade im Online-Shop führt. Dieses Toy – eine Science-Fiction-Pygmalionfigur, die sich fortwährend verwandelt, um den Wünschen der Nutzer*in zu entsprechen – wird zu einem immer wichtigeren Gegenüber, bis es, mittlerweile zu einem eigenen Charakter namens Sandy Cheeks geworden, Tony eines Tages selbst Verwandlungskräfte überträgt.

Lina Ehrentraut liest mit Toys aus einer spielerischen Erzählung, die zutiefst queere Momente von Sci-Fi, Metamorphose und Doppelgänerg*innenschaft in allen lustvollen und schmerzhaften Nuancen auserzählt. Während sich in Ehrentrauts Debüt Melek + Ich (2021) der Strich in bunte, abstrakte Farbflächen auflöste, beginnt Toys mit schwarzen, auf weiß geschriebenen Konturen. Berauscht von der Euphorie über fluide Körper tanzen Tonys Umrisse einige Seiten später schon unter einer Wasseroberfläche; winden und wandeln sich.

In unserer Comiclesung begegnen  Ehrentrauts Welten aus spielerischen Details, queerer Freund*innenschaft, Erotik und etwas Magie ausgewählten Arbeiten Whitney Burschs. Burschs Comics reichen von überdrehten Gossip-Tönen auf dem Schulhof bis zu sanft gezeichneten, traumhaften Szenen der Nähe, in denen transparent gesprühte Farben über und unter skizzenhaften Stichen schweben. Ihre Figuren reflektieren in radikal verletzlichen und politischen Stimmen (und Strichen)über ihre Gefühle und die Welt, in der sie stattfinden; darüber, wie es sich anfühlt, beim Abschied zu hoffen, dass der Bus nicht kommt; mit dem rassistischen Mitbewohner zu sprechen oder „gute Produktfotos und Werbesprüche“ für Dating-Apps zu beschaffen.

Lina Ehrentraut (Bild: © Privat)
Whitney Bursch (Bild: © Privat)

LINA EHRENTRAUT, *1993, lebt und arbeitet in Leipzig. Linas Arbeit verbindet Comic, Fashion, performative Lesung, Illustration und Malerei. Im Künstler*innen-Kollektiv SQUASH organisiert Lina u.a. das Snail Eye Comicfestival, sowie Ausstellungen und Lesungen in Leipzig. Mit der Buchhandlung ROTORBOOKS hat Lina Ehrentraut 2023 den Verlag ROTORPRESS gegründet. Linas Erstling MELEK+ ICH wurde 2021 mit dem Max und Moritz-Preis als bestes Début ausgezeichnet.

Whitney Bursch, *1994, ist Comickünstlerin und Kunsttherapeutin. Ihre Geschichten verarbeiten bittersüße Gefühle auf eine humorvolle Art. Ihre Comics erscheinen meistens im Eigenverlag, doch einige findet man im Strapazin Magazin, bei Colorama Clubhouse und in der Anthologie the future is… des Carlsen Verlags. Sie veröffentlicht einen Webcomic mit dem Titel „Nasty Nasty“ über Patreon.


Übersetzen als queere Praxis – zwischen Sprachen und Geschlechtern. Werkstattgespräch mit Desz Debreceni und Lisa Jay Jeschke 

2.11.25 | 16:00-17:30 Uhr | Saal X, Gasteig/HP8 | Moderation: Fabienne Imlinger | →Tickets

Lisa Jay Jeschke (Bild: © Pierre Jarawan)
Desz Debreceni (Bild: © Privat)

Mit Stone Butch Blues und LOTE werden in diesem Werkstattgespräch zwei queere Romane durch das Prisma der Übersetzung betrachtet, denen Kult-Status gebührt. Stone Butch Blues von Leslie Feinberg erschien 1993 und ist ein Meilenstein der queeren Literatur, insbesondere aufgrund der einfühlsamen und komplexen Darstellung geschlechtlicher Vielfalt, seiner Erforschung lesbischer Maskulinität und der liebevoll-schmerzhaften Erinnerung an die Butch-Femme-Kultur lesbischer Bars im Buffalo (New York) der 1960er Jahre. Desz Debreceni wird von deren Arbeit an der noch unveröffentlichten Neuübersetzung dieses Romans berichten und Auszüge aus deren Übersetzung vorlesen.

LOTE von Shola von Reinhold erschien 2020 und liegt seit dem letzten Jahr in einer deutschen Übersetzung von Lisa Jay Jeschke (Merve 2024) vor. Rauschhaft und einzigartig entfaltet der Roman eine widerständige Lebensweise; eine Ästhetik des Exzesses und des Ornamentalen aus einer queeren Schwarzen Perspektive, die die Geschichte neu schreibt. Lisa Jay Jeschke wird deren Übersetzung vorstellen und daraus lesen. Zusammen mit den Übersetzer*innen werden die beiden Texte in einen Dialog miteinander treten, wobei ein besonderer Fokus auf dem Übersetzen liegt – als zugleich künstlerische wie auch politisch-aktivistische Praxis, die Zugänge zu unterschiedlichen queeren Schreib- und Lebensweisen eröffnen kann.


„Ein Leben zu haben, das eindeutig nur mir gehörte“: Ein Schreibworkshop zu queeren Sehnsüchten mit Evan Hugo Tepest

2.11.25 | 10:30-12:30 Uhr | Lesbisch-Queeres Zentrum (LeZ) | →Tickets bald verfügbar

Rechtsruck und Klimakatastrophe, soziale Kürzungen und Transmisogynie – es gibt genug Gründe, als queere Person zu verzweifeln. In diesem Workshop wollen wir uns vor diesem Hintergrund aber gerade erlauben, unseren Sehnsüchten Raum zu geben. Anhand von Textbeispielen queerer Autor*innen suchen wir Worte dafür, wovon wir träumen, was wir begehren, worauf wir hoffen müssen, „to have a life that was clearly just mine“ (Eileen Myles, „An American Poem“).